Sonne

Christiane Messerschmidt
Werkstatt für Lebendige Steine

Siddhartha bückte sich, hob einen Stein vom Erdboden auf und wog ihn in der Hand. [...]

„Heute aber denke ich: dieser Stein ist Stein, er ist auch Tier, er ist auch Gott, er ist auch Buddha, ich verehre und liebe ihn, nicht weil er einstmals dies oder jenes werden könnte, sondern weil er alles längst und immer ist - und gerade dies, dass er Stein ist, dass er mir jetzt und heute als Stein erscheint, gerade darum liebe ich ihn, und sehe Wert und Sinn in jeder von seinen Adern und Höhlungen, in dem Gelb, in dem Grau, in der Härte, im Klang, den er von sich gibt, wenn ich ihn beklopfe, in der Trockenheit oder Feuchtigkeit seiner Oberfläche.

Es gibt Steine, die fühlen sich wie Öl oder Seife an, und andere wie Blätter, andere wie Sand, und jeder ist besonders und betet das Om auf seine Weise, jeder ist Brahman, zugleich aber und eben so sehr ist er Stein, ist ölig oder seifig, und gerade das gefällt mir und scheint mir wunderbar und der Anbetung würdig.“

H. Hesse, Siddhartha, 1922